9. Konzert: Quatuor Ébène

Auch diejenigen Besucher, die vorher ein gemischtes Gefühl zur Musik von Georg Ligeti gehabt haben, konnten dem Quatuor Ébène schon in der Pause eines nicht absprechen: Vollkommene Hingabe an das Werk! Das erste Streichquartett ist natürlich auch nicht leicht zu erfassen und zu durchdringen, aber wenn es denn so perfekt wiedergegeben wird, dann wird deutlich, das moderne Musik bzw. Musik des 20. Jahrhunderts durchaus seine Berechtigung hat im Kanon der Werke aufzutauchen, die im Konzertsaal gespielt werden müssen. Die vielen rhythmischen Feinheiten, die verschiedenen Spielarten am Bogen oder Griffbrett, die wechselnden musikalischen Farben von jazzy über choralartig zu diffusen Mischungen, dazu die gesamte Bandbreite an dynamischen Facetten ausgepackt zu bekommen, das war schon ein spektakuläres Erlebnis, das einen fesseln konnte.

Matthijs Broersma aus Leeuwarden vertrat den Cellisten Raphael Merlin, was dem homogenen Gesamtklang des Quartetts keinen Abbruch tat. Auch wenn Matthijs ein bereits sehr erfahrener Cellist ist, der sowohl solo als auch in anderen Streichquartetten unterwegs ist, muss es einen doch in Erstaunen versetzen, dass er den Ligeti in einem Konzert erst vor einer Woche zum ersten Mal auf der Bühne gespielt hat.

Traurig wurde nach dem Konzert in der Garderobe die Nachricht vom Tode Tina Turners entgegengenommen. Sofort wurde ihre Musik während des Umziehens gespielt.

Derzeit wird an einer filmischen Dokumentation über das Quatuor Èbéne gearbeitet. Auch im Theater an der Blinke fanden dazu Aufnahmen statt. Sollte etwas davon in dem fertigen Beitrag erscheinen, werden wir darüber berichten.

Beim gemütlichen Beisammensein nach dem Konzert wurden die Musiker auf das neue Programm der kommenden Saison aufmerksam; und nicht aus kollegialer Gönnerhaftigkeit waren sie voll des Lobes über das Doric String Quartet, das im November mit Julius Drake gemeinsam zu Gast sein wird. Man schätzt sich wohl gegenseitig sehr unter den Kollegen.

Pierre Colombet, der erste Geiger, war vor allem mit seinem Handy beschäftigt; er hatte an dem Tag Geburtstag und musste entsprechend viele Glückwünsche lesen und beantworten.

Konzertkritik

Es war das bemerkenswerte Finale einer bemerkenswerten Saison. Mit dem Gastspiel des französischen Streichquartetts „Quatuor Ébène“ setzte der Verein junger Kaufleute am Mittwoch einer ohnehin hochkarätigen Konzertreihe noch einen weiteren Glanzpunkt auf. Dabei war man angesichts des Programmes eher skeptisch ob eines „angenehmen“ Finales. Dubugnon? Nie gehört, aber immerhin mit Bach-Anlehnung. Ligeti? Sehr modern. Mit Schumann wenigstens etwas Gescheites. Wie schön, dass man zuweilen gleich von mehreren Überraschungen überrascht wird. Da wären zu allererst natürlich die Musiker mit Pierre Colombet und Gabriel Le Magadure (Violine), Marie Chilemme (Viola) und (in Vertretung von Raphael Merlin) Matthijs Broersma (Violoncello), die eine Lehrstunde in der Kunst perfekten Zusammenspiels ablieferten. Und über die handwerkliche Extraklasse hinaus dem Publikum einen Kammermusikabend bescherten, der dieser Gattung sicherlich neue Anhänger gewonnen hat. Denn wie die Vier mit wachen Ohren den Werken lauschten, oft eher zurückhaltend und behutsam, beinahe vorsichtig mit leichtem, flexiblem Bogenstrich durchsichtige, „behütete Klänge“ schufen, gaben sie dem Gehörten einen warmen, humanen Anstrich mit auf den Weg. Selbst zupackende subito forte-Einwürfe oder Prestosätze lebten von der Fähigkeit, sie sofort zurücknehmen zu können oder in der Lautstärke die Feinheiten nicht zuzudröhnen. Feinheiten und tolle Kleinigkeiten gab es denn an diesem Abend viele zu hören, sei es als Komponisteneinfälle oder deren Umsetzung in Klang. Aussagekräftige Interpretationen, die zudem noch so frisch daher kamen, dass es durchweg interessant, inspirierend und spannend blieb: diese Qualitäten honorierte das Publikum durch große Aufmerksamkeit und viel Applaus. Darf sich Komponist nennen, wer die Werke eines anderen nach „well-known“- Kriterien aussucht und geschickt zu einer Suite aneinanderreiht? Wohl doch eher ein Arrangeur hat Richard Dubugnon eine seelenschmeichelnde Abfolge von Versatzstücken aus Chorälen, Kantaten und Orchestermusik des Thomaskantors kreiert, die leicht und mit Wiedererkennenswert anzuhören war und bewies, dass Bach auch als „Patchwork-Bach“ gut funktioniert. Der musikalischen Kreativität György Ligetis hingegen schienen keine Grenzen gesetzt, weder durch Formenlehre noch in der eigenen Phantasie. In seinem Streichquartett Nr. 1 „Métamorphoses nocturnes“ überschlagen sich sehr effektvoll Tempi, Rhythmen, Harmonien, Emotionen, Eindrücke und Ausbrüche. Das buchstäbliche Spiel mit diversen Techniken, Klängen, Brüchen, Farben, aber auch subtilem Humor war so recht etwas für die ansteckende Musizierfreude der Künstler. Schumanns Quartett a-Moll schließlich vereinte alles: die Bachsche choralhafte Sanglichkeit mit dem bei Ligeti so eindrücklich erprobten Formenreichtum in bewährter „Quatuor Ébène“-Manier und durch die schönen „Stimmen“ der kostbaren alten Instrumente zusätzlich geadelt.

Barbara Fischer

Quatuor Ébène bei der Probe

Quatuor Ébène nach dem Konzert