1. Konzert: Lukas Sternath
Da war es dann soweit, die von vielen lang ersehnte Saisoneröffnung der Konzerte des VjK als Auftakt in die Jubiläumssaison 2026. Einige Abonnenten hatten neue Nachbarn, einige mussten ihren Platz noch suchen, aber für viele war es ein Wiedersehen mit alten und jungen Bekannten; eine schöne Atmosphäre wie immer. Ein herzliches Willkommen jedenfalls allen neuen Abonnenten!
Auch der Solist vom vergangenen Sonntag, Lukas Sternath, war sichtlich überrascht, als ihm im anschließenden netten Beisammensein die 150-jährige Historie des Vereins erklärt wurde. Zum Vergleich: Die NDR-Radiophilharmonie wird dieses Jahr 75!
Vom Flügel des Vereins zeigte sich Sternath sehr begeistert („Besser als in der Elphi!“); nun ja, man kann davon ausgehen, dass sein Ausbilder bzw. Professor Igor Levit, der ja bekanntlich das Instrument seinerzeit mit ausgesucht hat, und er einen ähnlichen Geschmack in Sachen Klangfarbe und dynamische Flexibilität haben. Und diese Eigenschaften des Flügels nutzte Sternath in allen Bereichen und Tonlagen aus. Beim Prokofjew hätte man ihm hier und da vielleicht sogar noch ein paar Tasten mehr gegönnt, aber 88 müssen reichen. Wer sich an das kleine, etwas glockenartige Motiv (man hätte meinen können, es sei Filmmusik aus Harry Potter) in der 8. Sonate erinnert, das immer wieder mal in allen Sätzen auftauchte, dem mag es bekannt vorgekommen sein. Es entstammt dem „Leiermann“ aus Schuberts Winterreise.
Zwei Variationswerke gab es in der ersten Programmhälfte zu hören – eine weitere Parallele zu seinem Lehrer und Mentor, denn auch Igor Levit spielte damals die Diabelli-Variationen von Beethoven und die Variationen von Franz Liszt über das Thema B-A-C-H.
Während die Eroica-Variationen viele Anklänge an die berühmte dritte Sinfonie bereit hielten, waren die Geister-Variationen von Schumann durchaus bedrückend und mit einem kleinen Schaudern zu erleben. Über welche Ausdrucksmöglichkeiten Lukas Sternath jetzt bereits verfügt, ist mehr als nur erstaunlich. Nach zwei imposanten und langen Zugaben applaudierte das Publikum schließlich im Stehen. Für diejenigen, die das Zugaben-Programm nachspielen möchten: Zuerst war es das Prélude op. 24/4 von Sergeij Rachmaninow, danach folgte von Franz Liszt der „Grande Galop Chromatique“.
Der Verein junger Kaufleute wird die Karriere von Lukas Sternath sicher genau verfolgen und eine Wiedereinladung zu gegebener Zeit aussprechen.
Konzertkritik
Zwei Drittel seines Lebens weitgereist auf den großen Bühnen der Welt zugebracht zu haben: das ist für die meisten Profi-Musiker ein ganz normales Leben, bringt man als Orchestermitglied oder als Solist die entsprechenden Fähigkeiten mit. Wenn man allerdings erst zwei Dutzend Lenze zählt, steckt schon ein außergewöhnlicher Lebensweg dahinter. Lukas Sternath war am Sonntag die klare Nr. 1 beim Verein junger Kaufleute, denn der junge Pianist spielte nicht nur das Eröffnungskonzert der kommenden Saison, er schob zugleich die Messlatte für die Kollegen der nachfolgenden Veranstaltungen ein ordentliches Stück nach oben. Ein Wiener Sängerknabe gewesen zu sein: das prägt. Abgesehen von Disziplin und intensiver Probenarbeit, hohen Erwartungshaltungen der Ausbilder wie des Publikums, Cliquen und Konflikten zwischen Koffer und Klassenzimmer bekommt man als Heranwachsender einen immensen Fundus unterschiedlichster Musik mit auf den Weg. Lukas Sternath verkörpert einen Gutteil dieser Erfahrungen: in der Art, wie er sich auf der Bühne bewegt, selbstverständliche Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt, ein absoluter Routinier. In der überlegenen und durchdachten Weise, in der er sich mit den Werken auseinandersetzt. In der Disziplin beim Spielen, das zwar Grenzen auslotet, doch immer kontrolliert bleibt. Da wäre etwa der Beginn von Beethovens „Eroica-Variationen“. Das markante Bass-Motiv haut er regelrecht wie ein Kind voller Mut und Unbekümmertheit auf die (richtigen) Tasten. Kind und „Hau-drauf-Motiv“ bleiben dem Hörer noch eine ganzer Weile erhalten, tauchen in anderen Stimmen wieder auf. Es ist ein Spiel, das Beethoven immer komplexer gestaltet, und das dadurch doch nicht weniger fröhlich oder unbekümmerter wird. Sternath spielt dieses Spiel so erfrischend wie intelligent mit, aber nach seinen Regeln. Die oberste lautet: verwandle alles in Musik. Erzähle und stelle dar. Nutze deine Fähigkeiten, um die Geschichte spannend, lebendig und anspruchsvoll zu erhalten. Vermeide Plattitüden. Sternaths Interpretationen haben Hand und Fuß, sie sind nachvollziehbar und vor allem konsequent. Kurz ist wirklich kurz, hart sehr hart, das Lyrische singt, Motive tragen ihren Charakter durch das Stück hindurch. Das verschafft den Werken Transparenz, verstärkt durch die technische Leichtigkeit, mit der er feinstes Pianissimo oder einen Tanz sich überkreuzender Hände vollführt. Ob Schumanns „Geister-Variationen“, der Trauermarsch („Funérailles“) von Liszt, Prokofjews Sonate Nr. 8 in B-Dur: Sternath bleibt sich treu. Die legitimen und zahlreichen Angebote, mit reiner Virtuosität zu glänzen, schlägt er aus; alles bekommt die Aufmerksamkeit und den Freiraum, den es braucht, ohne Anzeichen irgendwelcher Ungeduld. Beeindruckend. Kräftiger Beifall, standing ovations und zwei Zugaben waren Ausdruck gegenseitiger Wertschätzung.
Barbara Fischer
Lukas Sternath im Theater an der Blinke
Lukas Sternath am Steinway & Sons Flügel des VjK