10. Meisterkonzert: Dorothee Oberlinger (Flöte), Nuria Rial (Sopran) und Mitglieder des Ensemble 1700
Nach viel zu langer, Corona bedingter Pause konnte der Verein junger Kaufleute endlich wieder in die Saison 21/22 einsteigen. Vor ursprünglich zehn geplanten Konzerten konnten bzw. können nun immerhin sechs Konzerte stattfinden. Das Abschlusskonzert der diesjährigen Saison findet am 05.05.22 statt mit einem Konzert des Klavierduos Arthur und Lucas Jussen.
Die Vorstellung des Programms der neuen Saison läutete einen ungemein abwechslungsreichen Abend mit Musik aus dem Barock ein. Der Tanz in den Mai wurde im Theater an der Blinke in zumeist höfischer Manier eröffnet.
Das Ensemble 1700 unter der Leitung der Blockflötistin Dorothee Oberlinger mit Katharina Litschig (Barockcello), Olga Watts (Cembalo) und Axel Wolf (Laute), dazu die spanische Sopranistin Nuria Rial bildeten ungemein viele Spielarten der damaligen Musik ab. Sei es solo, sei es nach höfischer Manier oder bereits als vorweggenommenes Kammerkonzert. Man konnte förmlich spüren, wie für nachfolgende Komponisten Wege und Türen geöffnet wurden, sich weiterzuentwickeln.
Ein besonderer Moment dieses Konzertes sei herausgehoben: Die Cantata Spagnola „No se emenderá jamás“ WV 140 von Georg Friedrich Händel, die einzige spanischsprachige Kantate, die von ihm überliefert ist. Nuria Rial setzte sich zwischen die sie begleitende Continuo-Gruppe und schuf so einen Rahmen ganz intimer, höfischer Kammermusik. Ganz zart interpretierte sie den Gesang in ihrer Muttersprache, dazu spärliche, einhändige (im Cembalo) gespielte bzw. gezupfte Begleitung, man hätte eine Stecknadel fallen hören.
Dorothee Oberlinger brillierte in Corellis Sonaten op.5/10 und op. 5/12 („La Follia“). Man hätte den Eindruck gewinnen können, das ihre Blockflöten mehr Löcher als herkömmliche Instrumente haben, was sich aber anhand des Bildes widerlegen lässt. Für das Konzert in Leer wählte sie sieben verschiedene Instrumente aus, die restlichen über hundert Stück ihrer Sammlung hätten auch kaum auf den Tisch gepasst.
Telemanns „Mich tröstet die Hoffnung“ verzauberte durch ein wundervolles Hin- und Herspielen der Motive von Singstimme und Blockflöten. Das Publikum erklatschte sich zwei Zugaben: „Folle è ben chi si crede“ (von Merula) und Monteverdis „Si dolce è il tormento“.
Konzertkritik
Ganz schön temperamentvoll, diese „alten Wilden“. Zwischen drei- und vierhundert Jahre sind sie alt, und kein bisschen müde, die Herren Caccini, Corelli, Scarlatti, Vivaldi und van Eyck. Selbst musikhistorische Schwergewichte wie Monteverdi, Händel und Telemann hatten es offenbar zumindest zeitweise faustdick hinter den Ohren, wenn man sich die Notentexte ihrer Werke anschaut. Dort wimmelt es nämlich oft von halsbrecherischen Verzierungen, Läufen und wilden Sprüngen, die, gemessen an einem adäquaten Grundtempo, eine große Virtuosität von Sängern und Instrumentalisten voraussetzten. Es sollte ja schließlich weder die Protagonisten noch die Hörer langweilen. Und um den Spaß an der Sache noch zu erhöhen, bzw. den eigenen Ruhm als Virtuose zu pflegen, flocht damals jeder die eigenen Einfälle zusätzlich kreativ mit ein. Man ist geneigt, sich zu fragen: konnten die das überhaupt? Denn die selbstgespielten Werke obiger Komponisten weisen meist deutlich geringere Tempi auf als die am Samstag in der Leeraner Blinke gehörten. Dort gastierten Nuria Rial (Sopran) und Dorothee Oberlinger (Blockflöten) zusammen mit dem Ensemble 1700 : Katharina Litschig (Barockcello), Axel Wolf (Laute und Gitarre) sowie Olga Watts (Cembalo). Mit diesem Quintett hatte der Verein junger Kaufleute (VjK) zum eigentlichen Saisonende weltweit renommierte Stars der „Alten Musik“ eingeladen, die genau die Qualitäten mitbrachten, die es gebraucht hätte, um die Augen der Herren Caccini und Co zum Leuchten zu bringen. Kann man überhaupt so schnell spielen? Dorothee Oberlinger schon, die nimmermüde ein Bravourstück an das andere reihte, sei es als instrumentaler Gegenpart zum Sopran, in Corellis Sonate F-Dur oder dessen Variationen über „La Follia“, in denen endlich auch Cellistin Katharina Litschig ihre Fähigkeiten beweisen konnte. Fliegende Wechsel innerhalb der Blockflötenfamilie, ein ungekünstelter Atem, spielerischer Übermut: questa dolce sirena! Kapsbergers Toccata Arpeggiata für Laute solo und Storaces Passacaglia für Cembalo ließen Raum, um Axel Wolf und Olga Watts, die einen so einfühlsamen und klangschönen wie stimmungsbildenden Continuopart übernahmen, solistisch zu erleben. Gerne hätte man davon mehr gehört. Wie auch Sopranistin Nuria Rial „pur“, denn nicht nur ihre technischen Fähigkeiten erstaunten. Es ist der besondere Klang ihrer klaren, warmen, weichen vollen Stimme, ihre Ausdruckskraft, die sie zu einer „Orfea“ werden lassen. Vertonte Liebe und (Liebes-)Schmerz zogen sich durch das abwechslungsreiche Programm; ein steinernes Herz müsste der haben, der sich nicht spätestens von der betörenden Stimme Rials und der klagenden Musik Merulas und Monteverdis in den zwei Zugaben hätte erweichen lassen.
Barbara Fischer
Grietje Oldigs-Nannen und Tamme Bockelmann stellen das Programm für die kommende Saison vor
Dietrich Hein beim Nachstimmen des Cembalos in der Pause
Die Musiker nach dem Konzert
Der Tisch mit den Blockflöten