2. Konzert: vision string quartet
Am Vorabend gastierte das vision string quartet noch in Berlin, kommende Woche geht es für die 4 Streicher nach Süddeutschland, ehe dann eine Tournee durch Japan sich anschließt. Aufregende Zeiten für ein aufregendes Quartett, dass sich freute, ein zweites Mal vom Verein junger Kaufleute eingeladen worden zu sein.
Wer das Quartett erleben durfte, der mag sich im Anschluss die Frage gestellt haben, ob man in Leer überhaupt noch Streichquartette auftreten lassen sollte, die brav auf ihren vier Sitzgelegenheiten vor den Notenpulten ihren Dienst verrichten. Das ist schon in diesem Metier eine besondere, auf Neu-Deutsch würde man sagen: Challenge! Im Stehen (außer dem Cellisten) und auswendig einen Abend mit großer Streichquartett-Literatur zu gestalten. Doch gerade diese Gestaltung war es, das Aufeinander-Hören, der Austausch, das manchmal vielleicht ein klein wenig Unterstützen, die den Abend besonders werden ließ.
Zunächst waren es die großen Streichquartette von Grieg und Dvorak, die auf dem Programm standen. Man erlebte einen intensiven Klang von den vier Musikern – und zwar intensiv in piano und forte. War das nicht vielleicht auch ein Erlebnis des Spiels im Stehen? Jeder Chorsänger weiß, dass da was im Körper passiert, dass man auf einem Stuhl nicht aus sich herausholen kann. Das wird jeder Bläser bestätigen.
Die Zugaben-Stücke („Copenhagen“ und „Samba“ von der CD „Spectrum“) konnte man auch gar nicht im Sitzen spielen. Da war es klar, dass sich das Publikum zum Schluss-Applaus auch aus den Sitzen erhob, alleine schon, um die Handflächen noch lockerer aneinanderzuschlagen.
Konzertkritik
„Das war doch der Knaller, oder?“, meinte eine Hörerin, immer noch baff vom Erlebten, am Sonntagabend nach dem Konzert des „vision string quartets“ in der Leeraner Blinke. Recht hatte sie, denn die umgangssprachliche Formulierung traf die Wirkung der vier jungen Künstler genau. Der Verein junger Kaufleute hatte wieder einmal ein gutes Händchen in der Musikerwahl gehabt; und so drückte die spontane „aus-dem-Bauch-heraus“-Äußerung das allgemeine Empfinden aus. Pures Erstaunen über die Fähigkeit, sich die Streichquartette von Grieg (g-Moll op.27) und Dvorák (G-Dur op.106) merken zu können, denn der suchende Blick zur Bühne vor Beginn traf lediglich auf einen verloren wirkenden Klavierschemel. Keine Notenpulte? Vielleicht bringen sie die ja mit, aus irgendeinem Grund. Oder nutzen eine neue Technik. Tatsächlich nutzte das Quartett die älteste Technik überhaupt, nämlich den eigenen Kopf. Und brachte doch das bestaunenswerte Kunststück fertig, diese vier individuellen Köpfe zu einem zusammenzuschließen, der in seiner Funktion die Vorzüge aller in sich vereinte. Einigkeit ist sowieso ein großes Thema bei den sympathischen Herren; nicht nur, dass sie eine mindestens über die Musik tiefe Verbundenheit ausstrahlen, sie agieren wie ein einziger. Der durch die fehlenden Pulte unverstellte Blick auf das Ensemble zeigte eine Choreographie wie bei Synchronschwimmern. Doch während bei diesen tatsächlich die perfekte, maschinenhafte Gleichzeitigkeit oberstes Gebot ist, punktete das vision string quartet mit lebendiger „Echtheit“, die sich einerseits dem Strom der Musik anvertraute, ihn andererseits immer wieder voranschob, in einem sich stets regenerierenden Drive. Natürlich hat jeder einzelne seine spezielle Aufgabe im Notentext, doch da sind die vielen Stellen, die Geschlossenheit, genaue Absprachen, aber ebenso Wachheit den anderen gegenüber erfordern, Vertrauen in das Gelingen des Momentes auch über Absprachen hinaus, in die nonverbale Kommunikation im Text und über das Werk. Man probe zuweilen bei völliger Dunkelheit, um den Klang zu verbessern. Das spürte man selbst bei relativer Helligkeit im Saal. Kraftvolle Akzente, gemeinsames „Fahrt-Aufnehmen“ oder eben Abbremsen, stimmige Tempo-Übergänge, eine das Publikum mitziehende Dynamik, abrupte Stimmungswechsel: so wird Musik zur Vision und der Name des Quartettes zum Programm. Dvorák und Grieg lagen so weit gar nicht auseinander. Hier und da eine in Kunstform übersetzte Folklore, Pathos neben Tanz, Temperament und Kaffeehaus-Atmosphäre, Traumgesichter zwischen Fröhlichkeit und Ängsten. Sie könnten auf der Bühne eine noch weiter animierende Show abziehen. Tun sie aber nicht, denn sie haben es ebenso wenig nötig wie ihre wirkungsvollen Interpretationen. Die leuchten auch im Dunkeln. Selbst wenn wirklich jeder Satz einen ausgiebigen Zwischenapplaus verdient gehabt hätte: der begeisterte Schlussbeifall feierte die Vier ein wenig wie Popstars, aber ohne Allüren: Florian Willeitner und Daniel Stoll (Violine), Sander Stuart (Viola) und Leonard Disselhorst (Violoncello).
Barbara Fischer
vision string quartet vor der Zugabe
vision string quartet nach der Zugabe
vision string quartet während der Zugabe
vision string quartet während der Zugabe
vision string quartet vor der Probe
vision string quartet bei der Probe