9. Meisterkonzert: vision string quartet

Sie nennen sich „vision string quartet“, und hinter dieser Bezeichnung stehen die Geiger Florian Willeitner und Philipp Bohnen (als Ersatz für Daniel Stoll), der Bratschist Sander Stuart sowie Cellist Leonard Disselhorst mit voller Überzeugung. Bei der Namensfindung mag die Vorstellung von einem bestimmtem Klangideal mitgespielt haben, von der Neuentdeckung unbekannter Werke oder der altbekannter, von einer Freiheit in der Werkauswahl, die sich nicht auf Genres oder Epochen beschränkt. Und letztlich vor allem der Wunsch, mit ihrer Musik etwas weiterzugeben, zu bewegen, etwas ins Rollen zu bringen, Visionen zu wecken. Wenn das so sei, sind sich die vier jungen Künstler am Samstagabend in der Blinke mit ihrem Können, mit Herz und Verstand treu geblieben. Denn selten war Musik zumindest in ihrer Wirkung so aktuell wie an dem Abend. Wohl jeder der Anwesenden wird die beherrschenden Nachrichten und Bilder mit in den Konzertsaal genommen haben, und so führte der „langsame Satz für Streichquartett“ von Anton von Webern zu Beginn in große Nachdenklichkeit, die sich bei aller Vitalität der Streichquartette von Maurice Ravel (F-Dur op.35) und Mendelssohn (a-Moll op.13) fortsetzen sollte. Mit Klugheit, Sensibilität und einer guten Portion Neugier näherten sich die Künstler dem jeweiligen Notentext; immer mit der spürbaren Frage, wie man ihn anders, vielleicht sogar radikaler umsetzen könnte als in konventioneller Weise. Doch dabei wurde es nie laut. Im Gegenteil: sämtliche Werke des Abends waren geprägt von einer feinen Leichtigkeit, die an Zartheit und Zerbrechlichkeit grenzte, und mit den Bildern im Hintergrund an die physische und mentale Verletzlichkeit eines jeden erinnerten. Klagelieder mochten es sein, aber ohne Pathos und Schwülstigkeit, Feststellungen ohne Wertung, zeitlose Gesänge. Die Balance zwischen aktueller Interpretation, auch durch den Hörer, und einer Werkwiedergabe, die in „normalen“ Zeiten den einzelnen sicher in eigene Welten entführt hätte, fand sich in der Klanggestalt des Quartetts wieder. Denn die exzellenten Künstler sind technisch auf höchstem Niveau unterwegs und beherrschen ihr musikalisches Handwerkszeug perfekt. Das Spiel mit der Dynamik, den Tempi, des mentalen und zeitlichen Miteinanders erweitern sie auf die Klangfarben und Tonlagen ihrer Instrumente, erreichen dadurch ein überaus homogenes Ganzes. Für ihre in verschiedene Richtungen visionären Interpretationen, für ihre zwar wortlosen, aber sprachmächtigen Statements verdienten sich die Vier den wenigstens zeitweisen Zusatz „world vision string quartet“. Ein ebenso eindrücklicher wie eindringlicher Konzertabend ging mit dem „Prélude“ von Ernest Bloch als Zugabe zu Ende; bleibt zu hoffen, diese Musiker zu einer anderen Zeit mit einem anderen und sicher genauso wirkungsvollen Programm wieder zu erleben.

Konzertkritik

Am vergangenen Samstag konnte der Verein endlich seine Saison wiederaufnehmen, die fast zur Hälfte der Pandemie zum Opfer fiel. Entsprechend groß war die Vorfreude der Abonnenten, und sie wurden nicht enttäuscht.

Das vision string quartet gastierte mit einem Programm mit Werken von Webern, Ravel und Mendelssohn Bartholdy. Daniel Stoll, der zweite Geiger des Ensembles, sah „Vaterfreuden“ entgegen, daher ließen wir diese Entschuldigung als Abwesenheitsgrund natürlich gerne gelten. Erst recht, da er so hochgradig qualifiziert ersetzt werden konnte, denn Philipp Bohnen, Mitglied der Berliner Philharmoniker, übernahm seinen Part.

So war es nur zu verständlich, dass eben nicht (wie sonst bei diesem Quartett üblich) auswendig gespielt wurde. Und auch der Programmpunkt Jazz und Pop, der in Leer für (mindestens eine) Zugabe geplant war, musste wegfallen. Denn diese Arrangements und die dazugehörigen Spieltechniken kann man sich nicht eben so aneignen. Bei einer Wiedereinladung wird dieser Umstand natürlich berücksichtigt werden…

Ob die Überleitung nach dem „Langsamen Satz für Streichquartett“ von Anton Webern so geplant war? Nach dem Verklingen der letzten Noten herrschte eine andächtige Stille im Saal. Und gefühlt hätte die ein Applaus an dieser Stelle nur zerrissen. Uns so nutzten die Streicher die Gunst der hohen Konzentrationsphase und intonierten fast nahtlos den ersten Satz des Streichquartetts von Maurice Ravel im Anschluss.

Die Bewertung des Konzertes finden Sie in der wieder einmal sehr fundierten und emphatischen Kritik von Frau Barbara Fischer, die wir unten anfügen. Aber auf ein Detail möchte ich noch hinweisen: Den wunderbar homogenen Streicherklang der vier Profis. Auch und gerade, wenn eine Geige (und ja nicht nur ihr Spieler) ersetzt wurde. Keine Stimme stach besonders heraus, alles mischte sich wunderbar in der tollen Akustik des Theaters an der Blinke. Und so war der langanhaltende Applaus vor der Pause und nach dem Mendelssohn mehr als verdient; und er bescherte dem Publikum noch eine wunderbare Zugabe. Wie hat man das vermisst!!

Barbara Fischer

Das vision string quartet begüßt das Publikum

Das vision string quartet vor der Zugabe