1. Meisterkonzert: Christian Tetzlaff, Leif Ove Andsnes

Am Dienstag war es dann endlich soweit: Unsere Vorsitzende Grietje Oldigs-Nannen trat kurz vor dem Auftritt der Musiker auf die Bühne, und ihr war die Erleichterung und Freude darüber anzumerken, dass die neue Saison nun gestartet werden konnte. Nach so langer Zeit (immerhin fiel die letzte Saison komplett aus und das letzte Konzert, das vor der Pandemie durchgeführt werden konnte, waren die Schwestern Labeque im Februar ´19) nahm sie sich die Zeit, die alten und neuen Abonnenten zu begrüßen. Für das Ziel, das sich der gesamte Vorstand des Vereins junger Kaufleute gesetzt hatte, nämlich das Theater an der Blinke mit 100%iger Auslastung besetzen zu dürfen, war viel Geduld und die Anwendung der sog. 2-G-regelung erforderlich, viele Telefonate, Gespräche mit der Verwaltung in Leer und anderen Politikern (zweimal war der Kultusminister Björn Thümler zu Gast in Leer, um die Sache des Vereins zu unterstützen), sowie Gespräche mit Agenturen und Künstlern. Es hat sich gelohnt!

Nach so langer Abstinenz nahmen die Abonnenten auch ein Schlange-Stehen zum Einlass in Kauf, da die Datenrückverfolgung gewährleistet werden musste. Zudem musste auch am Platz eine OP-Maske getragen werden. Und  nicht zuletzt in den Schlussapplaus mischte sich dann auch viel Erleichterung darüber, dass alles so gut geklappt hatte und das Wir-Gefühl des Vereins diese trostlose Zeit überdauert hat.

Frau Barbara Fischer trifft in ihrer wunderbaren Kritik (die wir jedes Mal in ungekürzter Version auf der Homepage veröffentlichen) mal wieder den Nagel auf den Kopf: Gute Live-Musik ist durch keine Konserve zu ersetzen. Und dazu gehört auch ein Gefühl des Miteinander im Saal, das man bei einer Schachbrettbelegung nur schwer hätte erzielen können. Wenn dann noch zwei wirklich „Hochkaräter“ ihres Fachs, nämlich Christian Tetzlaff, Violine und Leif Ove Andsnes, Klavier, zu erleben sind, so wusste man doch als Besucher noch genauer, was man so lange entbehren mussten.

Die beiden bewerkstelligten einen für sich und die Zuhörer sehr anspruchsvollen Sonaten-Abend in Weltklasse-Manier: Ohne Manierismen, mit allen technischen Wassern gewaschen, hochkonzentriert und im Zusammenspiel unübertroffen, „ein Wahnsinns-Erlebnis“ – wie ein Neu-Abonnent anschließend sagte. Man merkte dem Publikum an, dass es bereit war, konzentriert die Sonaten von Dvorák und gerade auch Bartók zu erfassen, man hätte zeitweilig eine Stecknadel fallen hören können. Dabei halfen der klare und mal kecke, mal schmeichelnde, mal gestrichene, mal gezupfte Ton von Christian Tetzlaff, dazu die kongeniale Begleitung von Leif Ove Andsnes, der dem Flügel gerade auch im Bartók gewisse Cluster-Klänge entlockte, die man auch genießen konnte. Nach der Pause dann die etwas leichter fassliche Sonate von Grieg. Mein persönlicher Höhepunkt im Konzert: die letzten 20 Takte des langsamen Satzes. Welch Klangschönheit, welche Durchhörbarkeit der Einzelstimmen da im Saal zu erleben war: Wie haben wir das nur vermisst!

Auf das gemütliche Beisammensein mussten wir nach diesem Konzert leider noch verzichten. Laut der neuen Corona-Verordnung soll es aber bereits beim Klavierabend mit Sophie Pacini am 09.10.21 möglich sein, das Konzert ohne das Tragen einer Maske erleben zu können. Dann wird es auch wieder die gewohnte (Pausen-)Verpflegung im Theater geben. Die beiden Musiker hätten dieses Mal aber ohnehin keine Zeit gehabt für einen netten Abendausklang, denn das Taxi wartete bereits, um sie am Abend noch nach Hamburg zu bringen, denn am nächsten Morgen stand der Flug nach London auf dem Plan und am Abend das gleiche Konzert in der Wigmore-Hall, danach geht/ging es nach Berlin und Paris.

Einige freie Abo-Plätze kann unser Verein momentan noch anbieten. Alle Informationen hierzu auch immer auf unserer Homepage oder unter der Telefonnummer 0491-73023.

Konzertkritik

Anstehen für’s Konzert: Corona macht’s möglich, bzw. nötig. Doch keiner der Besucher des Auftaktes für die Spielzeit 21/22 beim Verein junger Kaufleute am Dienstag in Leer murrte; im Gegenteil, man nahm es mit Humor, schließlich lockte ein hochkarätiger Abend mit zwei international gefeierten Künstlern, dem Geiger Christian Tetzlaff, dem Pianisten Leif Ove Andsnes und Live-Musik. „1 Jahr ohne“: das war eine lange Zeit kultureller Enthaltsamkeit, Musik gab es nur aus dem Radio oder von Tonträgern. Doch es war akzeptabel, irgendwann hatte man sich daran gewöhnt, fand es sogar ganz bequem. Wozu also (noch) Live-Konzerte?! Wozu das „Ertragen“ von Stücken, die vielleicht nicht gefallen, von schrägen Klängen, vor denen kein „Aus-Knopf“ bewahrt, von aufgedrückten Emotionen, von Hustern, Niesern, raschelnden Programmen, stickiger Luft? Wozu also eine Begegnung mit einem tönenden Chaos wie Bartóks Sonate Nr. 1 für Violine und Klavier? Weil diese Begegnung zu einem bleibenden Erlebnis wird. Weil Musik plötzlich magisch und das Nachvollziehen von Form, Aufbau, Harmonik zur Nebensache wird. Weil die Musik, Konventionen sprengend, Ohr und Verstand auf neue und ungewohnte Weise fesselt. Weil sie fremden inneren Gesetzen gehorcht, die man erst erahnen muss. Weil es grandios ist, Töne und Klänge in ihrem Entstehen zu erleben, zu lauschen, zu staunen, sich zu wundern, sich auf Unbekanntes einzulassen. Weil es unersetzbar ist, Künstlern wie Tetzlaff und Andsnes zuzusehen und zu hören, ihnen zu folgen, wenn sie Tönen und Klängen Gesichter geben, Charaktere, Qualitäten. Zu bemerken, wie ihre für den Moment erschaffenen klingenden Individuen Botschaften senden. Dann begreift man nicht nur die Leidenschaft von Musikern für die Ton-Kunst, man hat als Hörer Anteil daran. Wenn denn die Künstler eben Tetzlaff und Andsnes heißen, von denen ersterer dem Publikum von Beginn an auf sehr intime, direkte und intensive Weise Zutritt zu „seinen“ Welten gewährte, der andere eine gewisse kühle Distanziertheit erst bei Bartók ablegte, die Beiden aber gemeinsam unschlagbar waren. So hätte man für das erste Konzert seit langem und der Saison keine besseren Interpreten, keine geeigneteren Werke finden können, denn nichts lenkte das sehr aufmerksame, dankbar-begeisterte Publikum vom Wesentlichen und vom Wesen der Musik ab. Das galt sowohl für Dvoráks Sonate in F als in doppelter Hinsicht Wieder-Einstiegswerk mit leicht zu merkenden Themen, freundlicher Harmonik und fröhlichen Rhythmen wie für die eher Grieg-untypische c-Moll-Sonate und nicht zuletzt die Janacék-Zugabe „Ballade“. Viva la musica!

Barbara Fischer

Leif Ove Andsnes beim Einspielen

Grietje Oldigs-Nannen begrüßt die Zuhörer

Christian Tetzlaff und Leif Ove Andsnes

Christian Tetzlaff und Leif Ove Andsnes