1. Konzert: Jerusalem Quartet

Am vergangenen Samstag war es soweit: Endlich konnte die neue Saison des Vereins junger Kaufleute gestartet werden. Dazu eingeladen war das Jerusalem Quartet, das gemeinsam mit der Sopranistin Hila Baggio den Themenschwerpunkt der Musik auf Werke von jüdischen Komponisten gelegt hatte. Vielen Besuchern des Konzertes war es sicher nicht bewusst, dass sie eher eingetroffen waren als das Streichquartett. Dieses hatte die Auswirkungen des Fluglotsenstreikes in Frankreich bei einer Zwischenlandung leidvoll erfahren müssen. Die vier Streicher waren erst gegen 19:20 im Theater. Ohne viel Zeit, sich einzuspielen, die Raumakustik und Aufstellung zu testen, wurde es quasi ein „Kaltstart“. Was die Qualität des Konzerterlebnisses aber kaum geschmälert hat.

Neben zwei Werken für Streichquartett von Schulhoff und Korngold standen die 5 jiddischen Lieder für Stimme und Streichquartett von Leonid Desyatnikov (geb. 1955 in Charkiw) im Mittelpunkt. Die aktuelle politische Situation in der Ukraine war bei Buchung des Konzertes natürlich noch kein Thema; die halb-szenische Darstellung dieser 5 ganz unterschiedlichen Lieder nimmt einen mit in die (scheinbar und sicher nicht für alle unbeschwerte) Zeit zwischen den Weltkriegen und gelang auch durch das schauspielerische Talent von Hila Baggio wunderbar authentisch.

Nach dem Streichquartett Nr. 2 von Erich Wolfgang Korngold erklatschte sich das Publikum eine Zugabe: Miroslav Skoryk “Melodie”, in der Version für Streichquartett beendete einen wunderbaren Auftakt der Konzertreihe des Vereins junger Kaufleute.

Konzertkritik

Musik! Der Verein junger Kaufleute Leer startete am Samstag in die neue Spielzeit mit acht hochkarätig besetzten Konzerten von Kammermusik-Ensembles bis hin zu großem Orchester. Die Auswahl der Künstler und der Programme zeigt die Handschrift des Veranstalters auf; so finden sich in der Leeraner Veranstaltungsreihe des öfteren ungewöhnliche und spannende Formate. Auch der erste Abend war geeignet, Zeichen zu setzen und neue Horizonte abzustecken, sowohl in musikalischer Hinsicht wie auf inhaltlicher Ebene. Neue Musik von jüdischen Komponisten, bzw. jiddische Lieder in zeitgenössischer Bearbeitung: das war eine ebenso selten gehörte Mischung wie interessante Erfahrung. Das „Jerusalem Quartet“ (Alexander Pawlowski und Sergej Bresler: Violine, Ori Kam: Viola, Kyrill Zlotnikow: Violoncello) lebt dabei „Völkerverständigung am Notenpult“ vor, denn die Mitglieder stammen aus den USA, Belarus und der Ukraine. Offenheit und Toleranz wurden ebenfalls von den Gästen in der gutgefüllten Blinke gefordert; Erwin Schulhoffs „Fünf Stücke für Streichquartett“ sprengten bequeme Hörgewohnheiten und führten das Publikum auf schwankendem Boden in ein akustisches Kaleidoskop. Tonale „Rettungsringe“ entzieht der Komponist, noch bevor man sie ergreifen kann, nichts bleibt, wie es ist oder wird, wie es scheint. Wer sich auf ideenreiche und (scheinbar) chaotische musikalische Spielereien einlassen konnte und mochte, war bei Schulhoff genau richtig, den anderen machten es die Musiker durch ihre delikate Interpretation leicht, Dadaismus, Orientalismen, Jazz und Tango im Sekundenmix zu mögen. War dem Quartett zwar zu Beginn verständlicherweise ein wenig der Reisepannen-Stress anzumerken, fanden sich die Vier bald zu gewohnt ausgeglichenem und sensibel-gestaltendem Klang zusammen, im Tonfall ideal für die Sprache und den Duktus dieser flirrenden, eruptiven, sprunghaften und teils irrationalen Klänge. Auch in Erich Korngolds Quartett Nr. 2 Es-Dur ließ sich, wenn auch maßvoller und auf kompositorisch konventionellerem Niveau, ein gewisser Hang zu augenzwinkerndem Humor feststellen, ein wortloses Kabarett, dessen verschmitztem Schalk das Jerusalem Quartet nur allzu gerne folgte. Korngolds Musik ist aus alten Hollywoodstreifen vertraut; die jiddischen Lieder von Leonid A. Desyatnikov aber entführten in einen nunmehr entfremdeten Kulturkreis, in eine unbekannte Parallelgesellschaft. Ein paar erläuternde Worte zu den einzelnen Liedern hätten sicher geholfen, doch Stimme und Bühnenpräsenz der israelischen Sopranistin Hila Baggio machten die Inhalte trotzdem verständlich. Ihr klarer Sopran folgte den schlichten Melodien in Schwärmerei, Träumerei, in unterschwellige Erotik und kriminelle Energien. Nur selten offenbarte sie ihre ausgebildete Opernstimme; zusammen mit der kunstvoll-geschickten Streicherbegleitung ergab sich die Edelversion einer Musikkultur, die man sich genauso „bodenständiger“ vorstellen konnte. Mit viel Beifall bedachte das Publikum dieses warmherzige musikalische Plädoyer.

Barbara Fischer

Jerusalem Quartet

Jerusalem Quartet mit Hila Baggio