2. Konzert: Alexander Lonquich

War das Eröffnungskonzert der Saison des VjK noch ein musikalisch quasi „bunter Abend“, so versprach das zweite Konzert schon in seiner Programmatik mindestens mal „intensiver“ zu werden: Drei große Klaviersonaten, die letzten drei, die er komponiert hatte. Also netto 2 Stunden Musik, nur ein Flügel samt Pianist auf der Bühne. Manch einer hätte vielleicht auch im Vorfeld „langweilig“ gesagt, aber wer dem Konzert beigewohnt hat, der konnte dieses Prädikat dem Abend bestimmt nicht verleihen. Alexander Lonquich hatte sich ausgiebig am Flügel eingespielt, so war er in der Lage, alle feinsten dynamischen Abstufungen so auszuführen, wie es sich Schubert sicher gewünscht hätte, wenn er selber schon solche Instrumente zur Hand gehabt hätte. Auch wenn das Publikum in der Hochphase der Erkältungszeit das eine oder andere Husten nicht unterdrücken konnte, so hätte man dennoch in den Generalpausen, die Schubert in jeder der Sonaten als Stilmittel einsetzt, eine Stecknadel fallen hören können. Lonquich interpretierte äußerst farbig und mit Mut zum Risiko. So konnte man nach dem Konzert sicher sein, die so ungemein reiche Tonsprache Schuberts nicht nur genossen, sondern auch zumindest teilweise verstanden zu haben, und bei nochmaligem Hören wird jedem ein Wiedererkennungsmerkmal einfallen.

Konzertkritik

Spätwerk, Alterswerk – das sind Einteilungen, die für gewöhnlich die Nachwelt bei erhaltenen künstlerischen Schaffen vornimmt. Wer als Künstler lang genug lebt, dem ist es vergönnt, dies im Blick auf das Geschaffene selbst zu tun. Aber bei einem Leben von eben gut dreißig Jahren? Wer denkt da an Sterben und Tod, Abschied von Plänen, Träumen? Und sollte doch ein nahendes Ende zu spüren sein, wird nicht der Schaffenswille stärker sein, als die Bemühung um Schubladen-Einteilungen? Alexander Lonquich spielte am Sonntag in der Leeraner Blinke beim Konzert des Vereins junger Kaufleute Schuberts letzte drei Klavier-Sonaten, Nr. 19 in C-Moll, Nr. 20 in A-Dur, Nr. 21 in B-Dur. Das klingt zunächst klar und überschaubar: drei Werke, ein Komponist, ein Interpret. Doch der Abend forderte. Forderte Konzentration, Konzentration und Konzentration. Wenn schon das bloße Hören anstrengend war, welche mentale Höchstleistung vollbrachte erst der Pianist? Zu wissen, dass mit dem ersten Anschlag ein halb-, bzw. zweimal ein dreiviertelstündiger Weg vor einem liegt. Kein Zurückweichen. Vorwärts. Auf einem Weg, den man zum Teil mit der erforderlichen Technik bewältigen kann. Aber eben nur zum Teil, denn es ist ein Weg hinein in kreatives Gestalten. Vieles ist vom Komponisten vorgegeben: Dynamik, Akzente, Tempo. Auch das ist bis zu einem gewissen Grad antrainierbar und abrufbereit. Doch der Augenblick entscheidet über die endgültige Form. Und hinter diesem unwiderbringlichen Augenblick steht eine Persönlichkeit. Was hätte Schubert anders gemacht als Lonquich? Wahrscheinlich hat dieser die drei Sonaten in seinem Leben öfter in Gänze gespielt als der Komponist selber. Wie ist da der Blick auf die Musik, das Spätwerk? Die Musik selber lässt, ließ so gut wie keine Zeit, sich zwischen Monumentalität und Detail, Akkorden und Läufen, Brachialität und Geschmeidigkeit, Leichtigkeit und Drohendem noch Gedanken zu machen über die musikhistorische Bedeutung. Wer in dieser Hinsicht analytisch oder Interpretationsansätze vergleichend hören wollte, musste mit den Werken schon allein wegen ihrer Ausdehnung sehr vertraut sein. Dem Gros des Publikums stand es frei, aktiv zu folgen oder sich mitnehmen zu lassen. Beeindruckend war es allemal für jeden, mit welcher Intention man gekommen sein mochte: wegen der Werke, um einen Meisterpianisten zu erleben oder wegen Beidem. Lonquich ging seinen Weg in großer Ruhe, äußerlicher Gelassen- und Überlegenheit. Wissend um die Wirkung, die er mit Innehalten, mit zurückgenommener Feinheit oder präzise gesetzter Wucht erreicht. Das gehört ebenso zum Handwerk wie die reine Technik. Doch die Kunst besteht darin, solche Wirkung nicht künstlich erscheinen zu lassen, dass man sie als erlernt, geübt enttarnen kann, sondern als unverbraucht. Den Augenblick zu nutzen, um in künstlerischer Freiheit den Klang für diesen einen Augenblick neu zu formen. Das beherrscht Lonquich meisterhaft und in unaufdringlicher Stille. Kein Bewegungsdrama auf dem Klavierhocker. Lonquich spielt und konzentriert die Hörer auf das musikalische Geschehen. Die Schubertschen Gedanken. Und davon gab es reichlich, noch ergänzt durch eine großzügige Zugabe von Schumann.

Barbara Fischer

Beim einspielen

Bei der Probe der Schubert Sonaten

Beim ersten Stück

Vor der Zugabe