5. Konzert: Mojca Erdmann – Malcolm Martineau
Wenn das Konzert vorüber ist, nehmen sich die meisten Künstler*innen noch die Zeit, den Abend bei einem Glas Wein und einem Snack ausklingen zu lassen. Was man dabei erfährt, kann einen manchmal durchaus überraschen. So z. B. die Tatsache, dass der Vater von Mojca Erdmann aus Emden stammt, es aber dennoch ihr erstes Konzert (man nennt das dann auch durchaus „Premiere“) in Ostfriesland war.
Mancher Zuhörer wird sich vielleicht auch gewundert haben, wie Frau Erdmann die Anfangs-Töne erfassen konnte, die nicht vom Klavier vorgegeben wurden bzw. diese, die nicht harmonisch aus dem Schlusston des vorangegangenen Liedes herzuleiten waren. Des Rätsels Lösung: Frau Erdmann besitzt das absolute Gehör.
Über die Zuschauer-Zahl zeigten sich die beiden Musiker hoch erfreut: Längst nicht jeder Liederabend von ihnen findet vor 500 Besuchern statt. Und ein großes Kompliment bekam das Leeraner Publikum gleich auch noch: Wie aufmerksam diese zugehört hätten, hätte sich auch auf die Bühne übertragen.
Das Repertoire des Abends war sicher nur den Wenigsten bekannt; selten gehörte Lieder der Romantik von Clara und Robert Schumann sowie Johannes Brahms (2. Hälfte). Neben dem angenehm warmen Timbre des Soprans mit herausragender Sprachverständlichkeit muss besonders die Begleiter-Rolle von Malcolm Martineau hervorgehoben werden: Ihm reicht es nicht, nur die Noten bzw. Tasten zu treffen und dynamische Akzente zu setzen. Nein, er kennt ebenfalls alle Texte, alle Strophen, kann sich zurücknehmen, ohne abzufallen, kann zupacken ohne aufdringlich zu sein (der Klaviersatz bei Brahms verlangt doch einiges mehr) und unterstützen; das Wort „Begleiter“ ist für ihn ein Lob in höchsten Tönen.
Konzertkritik
Mond, Seele, Liebeszauber, Herzeleid, Wald und Nachtigall: und fertig ist die Romantik. Die lässt sich natürlich nicht auf diese wenigen Begriffe beschränken, doch im Kern trafen sie den Inhalt von ganzen neunundzwanzig (Kunst-)Liedern, an denen außer achtzehn Dichter/-innen noch drei Komponisten beteiligt waren, sowie Mojca Erdmann (Sopran) und Malcolm Martineau (Klavier) als Interpreten. Ein Liederabend ist an sich nichts Ungewöhnliches, doch ein „bunter“ Abend wie dieser sprengte den Rahmen des Hergebrachten, und damit setzte der Verein junger Kaufleute am Sonntag in Leer auch im fünften Konzert der Saison die Reihe besonderer Hörerlebnisse fort. Mit ebenbürtiger Ausdrucksstärke, Delikatesse, sowohl in der Behandlung einer warmen, vollen Stimme wie im Pianistischen schütteten die beiden Künstler ein wahres Füllhorn mit selten gehörten Preziosen aus der Romantik aus. Allesamt sehr kurz, jeweils wenige Zeilen unbekannter Texte von Elisabeth Kulmann, Titus Ullrich, Franz Kugler, Gottfried Kinkel oder anderen umfassend, mit angemessenen Vor- und Nachspielen von Robert und Clara Schumann, Johannes Brahms dann in klingende Form gebracht, ergaben sie farbige Mosaiksteinchen, die sich im Großen zu einem vielfarbigen Bild der Empfindungswelt des 19. Jahrhunderts zusammenfügten. Das Kunststück, alle drei Minuten ein völlig neues Kolorit in Klang und Stimmung zu treffen, war für die beiden Interpreten ein müheloses Unterfangen. Mit Erdmann und Martineau traten zwei Routiniers mit jahrzehntelanger Bühnenerfahrung auf, deren selbstbewusste Ruhe, Gelassenheit, Könnerschaft ins Publikum hineinstrahlten und vermittelten: hier kann man ganz entspannt zuhören, denn jeder Ton wird an seinem Platz sein und jede Feinheit auf den Punkt abgerufen werden. Durchaus mit Empathie, dabei in sehr gepflegtem, ausgefeilten Stil, doch in Distanziertheit zum Publikum und ohne Hang zu experimenteller Interpretation, die den steten Fluss gediegener Klangerlebnisse durchbrochen hätte, reihten sie die Lieder wie eine Perlenkette aneinander. Ein angenehmer Kunstgenuss; aber keines davon trug man im Ohr mit nach Hause, eher die Erinnerung an besonders schöne Töne des Instrumentes Stimme, eindrückliche Klavierpassagen, effektvolle Momente. Einzige Ausnahme: die Zugabe. „Guten Abend, gut‘ Nacht“, das konnte wirklich jeder mitsingen. Heimlich versteht sich, um die Schönheit auf, bzw. von der Bühne nicht zu stören. Vielleicht kann der VjK als Dreingabe das Textheft ja noch nachliefern – als bleibendes Souvenir von immaterieller Kunst, zum eigenen Sich-Vorlesen oder sogar Nachsingen.
Barbara Fischer
Mojca Erdmann und Malcolm Martineau nach der Blumenübergabe
Mojca Erdmann und Malcolm Martineau während des Konzertes
Mojca Erdmann und Malcolm Martineau bei der Probe